Was bedeutet “Paleo-Ernährung”?
Über “Paleo-Ernährung” oder “Steinzeit-Ernährung” hat fast jeder von uns schon etwas gehört. Aber was steckt dahinter? Sind die Verfechter dieses Konzepts verwilderte Bärtige, die mit Pfeil und Bogen unschuldigen Rehen und Kaninchen nachstellen, um sich nach erfolgreicher Jagd über das entsprechende Fleisch herzumachen? Oder handelt es sich eher um moderne Menschen, die “Paleo” als Begründung suchen, um kiloweise Fleisch zu konsumieren?
Die “Paleo-Bewegung” ist in Deutschland noch recht jung. Ihre Wurzeln liegen in Amerika bei ihren Begründern Robb Wolf und Loren Cordain.
Foto: Myles Tan @ Unsplash
Was sind die “Regeln” der Paleo-Ernährung?
Menschen, die die Paleo-Ernährung umsetzen, ernähren sich von reichlich Gemüse, aber auch von Fleisch, Meerestieren und Eiern sowie Früchten, Nüssen, Samen und Kernen. Gleichzeitig vermeiden sie Getreide, Hülsenfrüchte, raffinierten Zucker, verarbeitete Lebensmittel, raffinierte Pflanzenöle sowie Milchprodukte (teilweise oder vollständig)1.
Diese beiden Sätze lassen sich recht leicht schreiben und lesen. Wenn du sie dir auf der Zunge zergehen lassen, stehen sie im krassen Gegensatz zur heute in westlichen Ländern üblichen Ernährung mit viel Getreide, Milchprodukten und verarbeiteten Lebensmitteln. Überlege einmal, wo überall Getreide enthalten ist: Müsli, Brot, Brötchen, Pasta, Pizza und Kuchen sind die offensichtlichen Kandidaten. Heutzutage wird Getreide aber auch als billige Zutat in vielen verarbeiteten Produkten “versteckt”.
Die Paleo-Regeln bieten aber auch einigen Spielraum in der Umsetzung. So kann man im Prinzip nicht von DER Paleo-Ernährung sprechen, da sich die verfügbaren Lebensmittel in der Steinzeit regional sehr stark unterschieden. In seinem Buch “Eine kurze Geschichte der Menschheit” beschreibt Yuval Noah Harari, wann die Menschen auf der Welt anfingen zu leben und wo sie damals zu finden waren: “Die meisten Wissenschaftler sind sich jedoch einig, dass in Ostafrika for 150.000 Jahren die ersten ‘anatomisch modernen Menschen’ lebten. Wenn heute ein Pathologe einen dieser Menschen auf dem Seziertisch hätte, dann würde ihm nichts besonderes auffallen. Wissenschaftlicher sind sich außerdem einig, dass der Homo sapiens vor rund 70.000 Jahren von Ostafrika nach Arabien wanderte und sich von dort aus rasch über weite Teile Europas und Asiens ausbreitete”2. Bis zum Ende der sogenannten Steinzeit bevölkerten die Menschen im Prinzip die ganze Erde. Die Steinzeiternährung im Amazonasgebiet war ganz offensichtlich eine andere als die im heutigen Rhein-Neckar-Dreieck oder an den Fjord-Küsten des heutigen Norwegens.
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Die Regeln der Paleo-Ernährung begründen sich einerseits durch das Argument, dass bestimmte Nahrungsmittel zur Steinzeit gar nicht für uns Menschen zugänglich waren, da sie erst mit Ackerbau und Viehzucht (vor etwa 10.000 Jahren) Einzug auf unserem Teller hielten. In der Kürze der Zeit (10.000 Jahre sind evolutionstechnisch sehr kurz) konnte sich unser menschliches Verdauungssystem nicht auf diese Nahrungsmittel einstellen und so schaden uns Inhaltsstoffe wie zum Beispiel bestimmte Lektine und Phytate im Getreide und in Hülsenfrüchten eher als dass sie uns nützen3,4. Eine evolutionäre Weiterentwicklung (im Sinne von Auslese und dass nur die am besten an die aktuelle Umwelt angepassten Menschen Nachkommen zeugen können) fand nach der Entdeckung und weltweiten Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht praktisch nicht statt.
Außerdem wird die Paleo-Idee durch aktuelles wissenschaftliches Gesundheitswissen über Auswirkungen von Zucker5 und anderen Nahrungsmitteln3,4 gestützt.
Durch den Verzicht auf Getreide, Hülsenfrüchte, Zucker und verarbeitete Lebensmittel sowie den teilweisen und vollständigen Verzicht auf Milchprodukte ergibt sich in den meisten Fällen ebenfalls eine automatische Reduktion der verzehrten Kohlenhydrate. Kohlenhydrate, die wir zu uns nehmen, werden durch Verdauungsenzyme aufgespalten und letztendlich in Form von Glukose unserem Organismus als direkt verfügbare Energie zur Verfügung gestellt. Eine übermäßige Glukoseaufnahme führt zur Umwandlung und Einlagerung in Form von Fett. Insofern kann die Paleo-Ernährung mit einer reduzierten Kohlenhydratmenge dazu beitragen, weniger Fett einzulagern und das individuelle Optimalgewicht zu erreichen.
Wie jede Ernährungsform kann auch die Paleo-Ernährung “gut” oder “schlecht” verwirklicht werden. Immer, wenn es zu einseitig wird, kann man misstrauisch sein und sollte die Wirkung auf die eigene Gesundheit überwachen. Die Paleo-Idee bietet auf der anderen Seite potenziell sehr viele positive Auswirkungen für Menschen, die sie gut umsetzen. Dazu gehört, den Schwerpunkt auf regionales und saisonales Bio-Gemüse zu legen, tierisches Protein in moderaten Mengen zu konsumieren und beim Lebensmittel-Einkauf auf die Qualität zu achten. So sollte beispielsweise Fleisch möglichst in Bio-Qualität gekauft werden oder besser noch von grasgefütterten Tieren. Beim Eierkauf ist dies ebenso wichtig.
Was hat die Paleo-Ernährung für Autoimmunerkrankte zu bieten?
Meine generelle Empfehlung für autoimmunerkrankte Menschen ist es, bestehende Entzündungsprozesse im Organismus zu beruhigen und neue Entzündungen zu vermeiden. Mit einer intelligenten Auswahl der Dinge, die du isst, kannst du bemerkenswerte Verbesserungen in Bezug auf die Häufigkeit und die Intensität von Schüben deiner Autoimmunerkrankung erreichen.
Die Paleo-Ernährung vermeidet Nahrungsmittel, die ziemlich direkt Entzündungen im Verdauungstrakt hervorrufen können (zum Beispiel Lektine6). Diese Entzündungen können spürbar oder “still” sein. Vielleicht hast du schon gelesen, dass 80% unseres Immunsystems im Darm lokalisiert wird? Nahrungsmittel, die den Darm reizen, haben also einen großen Einfluss auf unser Immunsystem. Wir entlasten es, wenn wir solche Dinge vermeiden. Gleichzeitig gibt es durch die Vermeidung von Getreide, Hülsenfrüchten, raffiniertem Zucker, verarbeiteten Lebensmitteln und raffinierten Pflanzenölen viel mehr Platz für echte Lebensmittel (mit der Betonung auf Leben). Diese Mittel zum Leben nähren unseren Körper ohne ihn unnötig zu reizen, und das kann unser Wohlbefinden dramatisch verbessern.
Weiter oben hatte ich ja schon von der durch die Paleo-Ernährung reduzierten Aufnahme von Kohlenhydraten geschrieben. Für Menschen mit Autoimmunerkrankung ist es wichtig zu wissen, dass ein erhöhter Anteil von Glukose im Blut ebenfalls Entzündungen anheizen kann. Um die Glukose in die Körperzellen zu transportieren, wird das Hormon Insulin benötigt. Je mehr Glukose im Blut ist, desto mehr Insulin wird durch die Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet. Leider ist das Hormon Insulin ebenfalls dafür bekannt, in größeren Mengen entzündungsförderlich zu sein, genau wie übermäßige Glukose.
Durch eine intelligente und ausgewogene Anwendung der Paleo-Ernährung bietest du deinem Körper nährstoffreiche Zutaten, die ihm helfen, sich selbst auf den Weg der Heilung zu machen.
Was bedeutet die Paleo-Ernährung für mich persönlich?
Für mich hat die Paleo-Idee einige überzeugende Aspekte:
- Sie ist KEINE kurze “Diät” sondern eine Lebensweise. Ich muss nicht ein paar Wochen durchhalten sondern darf so mein ganzes Leben weiter machen. Diese Ernährungsform macht für mich auch eher Sinn, wenn ich sie langfristig umsetze.
- Sie umfasst – neben der Ernährung – noch viele andere Faktoren, die zu einem gesunden Leben gehören – Stoff für weitere Artikel bei Genuss und Glück. Ich verstehe die Paleo-Idee als ganzheitlichen Ansatz.
- Sie hilft mir, relativ leicht das Körpergewicht zu regulieren, in einem gesunden und nachhaltigen Tempo.
- Sie bringt mich dazu, Verantworung für meine eigene Gesundheit zu übernehmen.
- Paleo hat mich zur Köchin gemacht. Ich verbringe einfach viel mehr Zeit in der Küche und weiß sehr genau, was auf den Tisch kommt und was ich verzehre.
- Paleo bringt Gesprächsstoff. Da diese Ideen in unserer Gesellschaft noch nicht sehr weit verbreitet sind, kann ich viel darüber sprechen und Interessierten davon erzählen. Nicht Jede(r) ist davon begeistert, aber das Thema bringt oft eine lebhafte Diskussion.
- Sie macht mich glücklich!
Hilft die Paleo-Ernährung bei allen “Zipperlein”?
Ernährung ist etwas sehr individuelles. Auch wenn die Paleo-Ernährung viele positive Seiten bietet, ist sie nicht für jeden gleich “wirksam” oder umsetzbar. Auch bietet sie relativ viel Spielraum und kann dadurch natürlich auch zu einer Verschlechterung des Wohlbefindens führen.
Fazit: Die Paleo-Ernährung ist kein Allheilmittel. Sie kann ein guter Startpunkt sein, um über den Aspekt der Ernährung das Wohlbefinden positiv zu beeinflussen.
Je nachdem, wie deine individuelle Situation ist, macht es Sinn und ist angeraten, über die Paleo-Ernährung hinaus einen versierten Therapeuten zu konsultieren.
Hast du Fragen, warum die Paleo-Ernährung auch für dich interessant sein kann oder wie du sie konkret umsetzen kannst? Komm’ in meine Facebook-Gruppe “Know-How-Transfer über Nährstoffe, die ankommen”!
1 Robb Wolf. What Is The Paleo Diet?
2 Yuval Noah Harari 2015. Eine kurze Geschichte der Menschheit. 23, 24
3 David L J Freed 1999. Do dietary lectins cause disease?
4 Lee HH et al 2015. Impact of phytic acid on nutrient bioaccessibility and antioxidant properties of dehusked rice
5 Jingshu Xu et al 2016. Elevation of brain glucose and polyol-pathway intermediates with accompanying brain-copper deficiency in patients with Alzheimer’s disease: metabolic basis for dementia.
6 Vojdani A 2015. Lectins, agglutinins, and their roles in autoimmune reactivities.
Fotos: Myles Tan und Brooke Lark @ Unsplash
Franziska hat sich auf die Bedürfnisse von Menschen mit Autoimmunerkrankung(en) spezialisiert. Dabei richtet sie ihr Handeln an der menschlichen Natur aus: jeder Schritt zu "mehr Mensch" ist ein Schritt in Richtung gesteigerter menschlicher Gesundheit. Das bedeutet auch, durch gesunde Ernährung und Lebensweise Krankheiten möglichst gar nicht erst zuzulassen. Franziskas Artikel liefern nicht nur Wissen sondern auch Rezeptideen, denn sie ist durch ihre eigene gesundheitliche Reise zu einer kreativen Köchin geworden.
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