Bei Genuss und Glück ist einfach alles glutenfrei. Aber ist das gut so? Es gibt doch Experten, die davor warnen, dass alle Welt sich glutenfrei ernährt. Ist “glutenfrei” eigentlich gefährlich?
Glutenfrei ist ein Hype
Ja, glutenfreie Ernährungsweisen erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Manche Menschen erzählen begeistert davon, wie gut es ihnen damit geht. Und es gibt ja auch sogenannte “geprüfte glutenfreie Produkte”, die den Betroffenen das Leben erleichtern.
Unheimlich viele Menschen, die sich gesünder ernähren wollen, meinen, sie müssten auf Gluten verzichten. Dabei haben sie weder Zöliakie (eine Autoimmunerkrankung, bei der winzigste Mengen Gluten schlimme Symptome hervorrufen) noch eine Weizenallergie. Manche Menschen machen sogar Tests auf Unverträglichkeiten. Da kommt dann zutage, ob eine Glutenunverträglichkeit vorliegt oder nicht. Und selbst wenn das Labor es nicht bestätigte, behaupten einige Betroffene, dass es ihnen ohne Gluten besser ginge. Bilden sie sich das nur ein? Gehört “glutenfrei” mittlerweile zum Repertoire einer gesunden Ernährung?
Auch die Presse greift das Thema häufig auf. Klar, denn so ein “Hype” bringt Einschaltquoten und Verkaufszahlen. In fast jedem Artikel, in dem die wachsende Beliebtheit von “glutenfrei” erörtert wird, erscheinen ein oder zwei Experten, um vor den „Gefahren“ einer glutenfreien Ernährung ohne ärztliche Begleitung zu warnen.
Andere Beiträge berichten über Gefahren, die durch Schadstoffe in verarbeiteten “glutenfreien” Produkten hervorgerufen werden. Zum Beispiel dieser hier.
Da ziehen Menschen wie Du und ich, die echte Vorteile beim Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel erfahren haben, tüchtig die Augenbrauen nach oben. “Das schon wieder?” denken wir. Als nächstes werden sie wahrscheinlich behaupten, dass raffinierter Zucker eine wichtige Lebensmittelgruppe ist und wir viele Kohlenhydrate brauchen, um unser Gehirn zu versorgen. Verrückt.
Experten warnen vor glutenfreier Ernährung
Kommen wir zurück zu den gutgemeinten Warnungen vor glutenfreier Ernährung. Immerhin kommen sie meist von medizinischen Experten mit wichtigen Abkürzungen vor ihren Namen. Vielleicht sollten wir uns anhören, was sie sagen, und ihre Begründungen dafür untersuchen. Auf welche Gefahren oder Risiken beziehen sie sich tatsächlich? Sind es echte Gefahren, die wir beachten sollten?
Am Ende entscheidest nämlich immer noch Du selbst mit Deinem Verstand oder auch mit Deinem Gefühl darüber, wie Du Dich tagtäglich mit Nahrungsmitteln versorgst.
Im Prinzip scheint es drei Hauptargumente gegen die weit verbreitete Einführung glutenfreier Lebensweisen zu geben. Genau die schauen wir uns jetzt an.
Argument 1: “Bei glutenfreier Ernährung drohen Vitamin- und Mineralstoffmangel.”
Wie nahrhaft ist Weizen und glutenfreies Getreide generell?
Dazu schaust Du am besten einmal in den hochoffiziellen Bundeslebensmittelschlüssel, einer Datenbank für den Nährstoffgehalt von Lebensmitteln. “Er wurde als Standardinstrument zur Auswertung von ernährungsepidemiologischen Studien und Verzehrserhebungen in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Im [Bundeslebensmittelschlüssel] sind die durchschnittlichen Nährstoffwerte von fast 15.000 Lebensmitteln, die auf dem Markt erhältlich sind, weitestgehend erfasst.”1 Alternativ geben Dir auch Online-Datenbanken (wie zum Beispiel fddb.de) einen groben Einblick. Du wirst feststellen, dass glutenhaltiges Getreide zwar interessante Nährstoffe enthält, aber keineswegs der einzige Toplieferant in diesen Bereichen ist.
In manchen Ländern wird Weizenmehl sogar mit Kalzium, Eisen und den B-Vitaminen Folsäure, Thiamin, Niacin und Riboflavin angereichert. Das schreibt beispielsweise das Gesetz in den Vereinigten Staaten von Amerika vor. Dagegen werden Mehle, die üblicherweise in glutenfreien Produkten verwendet werden, dort nicht in dieser Weise angereichert. Glutenfreie Produkte verwenden oft Reismehl, Kartoffelmehl, Maismehl und Tapioka. Die oben genannten Mineralien und Vitamine sind wirklich wichtige Nährstoffe, die jeder braucht, um gesund zu sein.
Wenn Du jetzt also angereichertes Weizenmehl durch glutenfreie Produkte aus Mehl ohne diese Nährstoffanreicherungsbestimmungen ersetzt, kann es tatsächlich sein, dass Du weniger Nährstoffe zu Dir nimmst. Das ist zwar ein Problem, aber es geht nicht um Gluten an sich sondern um fehlende Vitamine und Mineralien.
Welche Nährstoffe stecken in Weizen?
Weizen beinhaltet insbesondere die wichtigen Nährstoffe Mangan, Betain, Folsäure, Kupfer, Zink und Selen.
Diese Nährstoffe bekommst Du auch über die folgenden Alternativen:
- Betain: Die zweitreichste Quelle nach Weizenkeimen ist Spinat.
- Folsäure: Blattgemüse, Eigelb und Leber (insbesondere Hühnchen) enthalten sehr viel Folsäure. Kefir auch, wenn das für Dich eine Option ist.
- Kupfer: Rinderleber (oder Leber von anderen Wiederkäuern) – einmal pro Woche konsumiert – deckt wahrscheinlich Deinen Kupferbedarf zu 100 %. Alternativ kannst Du dafür auch dunkle Schokolade oder Austern verzehren.
- Zink: Rotes Fleisch und Austern.
- Selen: Paranüsse (in kleinen Mengen), Nieren, Eier von freilaufenden Hühnern, Wildlachs.
Unsere Experten mögen beklagen, dass es kein nahrhaftes und gleichzeitig schmackhaftes Getreide gibt, das von Natur aus glutenfrei ist. Wenn Du mich fragst, mir fallen ein paar Alternativen ein – allerdings alle komplett ohne Getreide. Weizen ist nämlich überhaupt nicht notwendig. Diese Studie2 bestätigt dies und empfiehlt, dass Menschen, die sich glutenfrei ernähren, mehr Obst und Gemüse zu sich nehmen sollten. Das nämlich ersetzt alle Mikronährstoffe, die Weizen liefert. Auch sekundäre Pflanzenstoffe und Antioxidantien stecken im Gemüse und Obst, allerdings nicht im Weizen.
Das bedeutet: Weizen ist vielleicht eine attraktive und wichtige Quelle für Mikronährstoffe für Menschen, die kein grünes Gemüse, rotes Fleisch, Nüsse, Muscheln und Leber essen. Aber für diejenigen von uns, die diese Lebensmittel und die vielen anderen Nährstoffe, die sie liefern, genießen, bietet Weizen nichts Besonderes.
Argument 2: “Bei glutenfreier Ernährung schwindet der Anteil guter Darmbakterien und der Gehalt an schlechten Darmbakterien erhöht sich.”
Vor einer ganzen Weile sorgte diese Studie für Aufsehen: Jeder, der sich über Menschen lustig machen wollte, die sich “freiwillig” glutenfrei ernährten, konnte dies jetzt mit einer Studie tun. Da war es egal, ob die ganze Studie gelesen wurde. Es war auch egal, ob die Bedeutung einer veränderten Zusammensetzung der Darmflora verstanden wurde. Klar war: glutenfrei ist irgendwie „schlecht“ und jetzt gab es sogar einen wissenschaftlichen Beweis dafür. Die Studie zeichnet jedoch bei näherem Hinsehen ein etwas anderes Bild. Sogar in der Zusammenfassung der Arbeit konnten wir es lesen: Gesunde Darmbakterien nahmen ab und ungesunde Bakterien nahmen zu – parallel zu einer verminderten Zufuhr von Polysacchariden.3
Hier war also nicht das Problem, dass unsere guten Darmbakterien Gluten brauchen. Nein, das Problem war, dass insgesamt weniger fermentierbare Stoffe (Polysaccharide oder auch Ballaststoffe genannt) zugeführt wurden. Davon leben nämlich diese Bakterien. Wenn Du glutenhaltiges Getreide durch raffiniertes glutenfreies Getreide oder glutenfreie Stärkeprodukte ersetzt, bietest Du Deinen Darmbakterien nur schlechte Nahrung und sie werden dadurch weniger. Ohne die passende Nahrung werden die nützlichen Darmbakterien von den pathogenen Bakterien verdrängt.
Wenn Du “glutenfrei” ausprobieren möchtest, kannst Du die fermentierbaren Ballaststoffe aus Vollkornprodukten durch fermentierbare Ballaststoffe und resistente Stärken in Obst, Gemüse, Kochbananen, gekochten und abgekühlten Kartoffeln oder roher Kartoffelstärke ersetzen. Dies wird wahrscheinlich die bescheidenen Ballaststoffmengen, die in Weizen und anderen glutenhaltigem Getreide stecken, übertreffen.
Argument 3: “Eine glutenfreie Ernährung kann sich in eine Essstörung verwandeln.”
Dies ist eine interessante Behauptung, die für die Anhänger einer Paleo- oder anderweitig natürlichen Ernährung vielleicht am relevantesten ist. Jeder, der ein großes Interesse daran hat, wie sich bestimmte Lebensmittel langfristig und kurzfristig auf seine Gesundheit auswirken, läuft Gefahr, alles bis ins kleinste Detail zu analysieren und sich dadurch selbst im Weg zu stehen. Ich meine folgendes:
- Todesangst vor ein wenig Rapsöl zu haben – okay, es gibt viele Argumente dagegen, aber kommt es auf diese zwei Tropfen an?
- Starke Sorgen um den Gehalt von mehrfach ungesättigten Fettsäuren in einem Brathähnchen, sodass lieber gehungert wird.
- Grübeleien über Dosenessen, das geprüft “BPA-frei” ist. (BPA steht für Bisphenol-A und ist eine Chemikalie, aus der seit den 1960er Jahren bestimmte Kunststoffe und Harze hergestellt werden.) Grübeleien, die Dich damit beschäftigen, womit denn das BPA hier ersetzt wurde…
- Du hast Lust auf ein leckeres Eis, aber neben der Supermarkt-Tiefkühltruhe suchst Du mit Deinem Smart Phone das Internet ab, um mögliche negative Auswirkungen des verwendeten Stabilisators zu recherchieren… bis Du doch mit leeren Händen nach Hause gehst.
- Du machst einen riesen Bogen um den Bäcker, um keine Glutenpartikel aus der Luft einzuatmen.
Wobei ich jeden einzelnen Punkt hier verstehe. Gerade wenn ich die Wahl hätte, mein Essen jedes Mal in Rinderschmalz von Weidetieren oder Olivenöl kochen zu lassen. Ich würde nur freilaufende, würmchenfressende Hühner und deren Eier konsumieren. Ich würde keine in Plastik verpackten Lebensmittel essen, sondern meinen Metzger mein Fleisch in Glas-Behälter verpacken lassen, anstatt es in Plastik einzuwickeln.
Und ich vermeide generell Gluten.
Ich lasse diese Gewohnheiten nicht nicht den Rest meines Lebens überschatten. Die perfekte Welt gibt es einfach nicht. Du kannst nicht perfekt sein. Perfekt zu sein ist sogar unvollkommen, denn es kostet zu viel Arbeit und erzeugt potenziell viel Stress.
Lerne, zwischen “Gewohnheit” und “Angst” zu unterscheiden. Ich selbst esse lieber gar kein Getreide. Ich habe aber auch keine Angst vor ihm. Ich bevorzuge es, keine großen Mengen Kohlenhydrate zu mir zu nehmen. Ich habe aber auch keine Angst vor Kohlenhydraten oder halte sie für böse. Ich vermeide lieber Gluten – und fühle mich besser, wenn ich mich daran halte. Aber ich habe keine Angst davor.
Allerdings, wenn Du Zöliakie hast, ist eine bestimmte Vorsicht sicher angebracht. Auch wenn Du glutenempfindlich bist. Ansonsten gibt es keinen Grund auszurasten, wenn sich ein Brotkrümel auf Deinem Teller verirrt hat. Es wird Dir wahrscheinlich nichts passieren. Du isst einfach Deine Mahlzeit und lässt Dich nicht von Deinem Essen aus der Bahn werfen.
Ist glutenfrei also wirklich gefährlich?
Nein, eine ärztliche Begleitung brauchst Du wahrscheinlich nicht, um eine glutenfreie Ernährung erfolgreich und sicher durchzuführen. Insbesondere nicht, wenn Du mit gesundem Menschenverstand an die Sache heran gehst. Eine wirklich natürliche Art zu essen, mit Blattgemüse, Ballaststoffen, resistenter Stärke, gelegentlich Leber, Meeresfrüchten und vielen anderen nährstoffreichen Pflanzen und tierischen Produkten, unterstützt Deine Darmgesundheit, sorgt für ausreichende Vitamine und Mineralien und fördert Deine gesunde Beziehung mit Deinem Essen. Die “Gefahren” einer glutenfreien Ernährung sind bestimmt erwähnenswert und relevant für den Durchschnittsverbraucher, aber für wirklich Interessierte dürfte die Sache klar sein.
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Lade Dir gleich meine Liste herunter!
1 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Bundeslebensmittelschlüssel.
2 L. Saturni et al 2010. The Gluten-Free Diet: Safety and Nutritional Quality.
3 Yolanda Sanz 2010. Effects of a gluten-free diet on gut microbiota and immune function in healthy adult humans.
Foto: Simon Kuznetsov @ Unsplash
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Franziska hat sich auf die Bedürfnisse von Menschen mit Autoimmunerkrankung(en) spezialisiert. Dabei richtet sie ihr Handeln an der menschlichen Natur aus: jeder Schritt zu "mehr Mensch" ist ein Schritt in Richtung gesteigerter menschlicher Gesundheit. Das bedeutet auch, durch gesunde Ernährung und Lebensweise Krankheiten möglichst gar nicht erst zuzulassen. Franziskas Artikel liefern nicht nur Wissen sondern auch Rezeptideen, denn sie ist durch ihre eigene gesundheitliche Reise zu einer kreativen Köchin geworden.
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